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Die Verrohung der Sitten: Immer mehr Gewalt in Berliner Arztpraxen

In den letzten Jahren ist eine besorgniserregende Entwicklung in deutschen Arztpraxen zu beobachten: Die Gewalt gegen medizinisches Personal nimmt stetig zu. Besonders in Berlin zeigen aktuelle Statistiken alarmierende Zahlen. Laut einer Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gab es allein im vergangenen Jahr 107 dokumentierte Fälle von Körperverletzung durch Patienten in Berliner Arztpraxen.

Die Umfrage, die zahlreiche Ärzte, Psychotherapeuten und medizinische Fachangestellte erfasste, ergab, dass fast 80 Prozent der Befragten im letzten Jahr verbale Gewalt erfahren haben. Darüber hinaus berichteten über 40 Prozent der Teilnehmer, dass sie in den letzten fünf Jahren körperliche Gewalt während ihrer beruflichen Tätigkeit erlebt haben. Die Formen dieser Gewalt sind vielfältig und reichen von Drohungen und Beleidigungen bis hin zu physischen Angriffen wie Schubsen oder sogar schwereren Übergriffen.

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), äußerte sich zu den Ergebnissen der Umfrage: „Die Verrohung der Sitten ist erschreckend. Ein gesamtgesellschaftlicher Werteverfall trifft auf ein überlastetes und kaputtgespartes Gesundheitssystem. Die Politik und die Krankenkassen wecken zu hohe Ansprüche, nach dem Motto: ‚Geht zum Arzt, da bekommt ihr alles und das sofort‘.“

Die Zunahme von Gewalt in Arztpraxen ist nicht nur ein Berliner Phänomen. Eine bundesweite Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zeigt ebenfalls, dass mehr als drei Viertel der Praxen Gewalt in irgendeiner Form erleben. Insbesondere verbale Gewalt scheint zuzunehmen: 85 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in den letzten fünf Jahren eine Zunahme solcher Angriffe bemerkt haben.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Experten sehen unter anderem ein gestiegenes Anspruchsdenken bei Patienten, das häufig durch die Kommunikationspolitik von Krankenkassen und politischen Entscheidungsträgern gefördert wird. Viele Patienten fühlen sich frustriert über lange Wartezeiten, unklare Informationen oder nicht erfüllte Erwartungen an die medizinische Versorgung. Diese Unzufriedenheit äußert sich oft in aggressivem Verhalten gegenüber dem Praxisteam.

In Reaktion auf die gestiegenen Übergriffe haben viele Praxen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Notfallknöpfe wurden installiert, Fluchtwege geschaffen und das Personal wurde in Deeskalationstechniken geschult. In einigen Fällen ist sogar Sicherheitspersonal in die Praxen eingezogen, um den Mitarbeitern ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Die Gewalt in Arztpraxen ist ein Thema, das auch auf politischer Ebene diskutiert wird. Das Bundesjustizministerium arbeitet derzeit an einer Verschärfung des Strafrechts, um Rettungskräfte und medizinisches Personal besser zu schützen. Die KBV fordert jedoch eine umfassendere Berücksichtigung aller Praxen im Rahmen dieser Gesetze, um den medizinischen Mitarbeitern den notwendigen Schutz zu bieten.

Die Umfrage der KBV, an der mehr als 7.500 Personen teilgenommen haben, stellt einen klaren Appell an die Politik dar. Die Ergebnisse zeigen nicht nur die Dringlichkeit des Problems, sondern auch die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit der medizinischen Fachkräfte zu gewährleisten. Laut Dr. Sibylle Steiner, einem weiteren Vorstandsmitglied der KBV, müssen die niedergelassenen Ärzte auf die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der staatlichen Vollzugsorgane vertrauen können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zunehmende Gewalt in Berliner Arztpraxen nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie ist Teil einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung, die die Werte und Normen innerhalb der Gesellschaft in Frage stellt. Die Herausforderungen, vor denen das Gesundheitssystem steht, sind komplex und erfordern kollektive Anstrengungen von Politik, Krankenkassen und der Gesellschaft insgesamt, um die Sicherheit und das Wohlbefinden derjenigen zu gewährleisten, die sich um die Gesundheit der Bevölkerung kümmern.

In einer Zeit, in der das Gesundheitssystem ohnehin vor großen Herausforderungen steht, könnte die fortschreitende Verrohung der Sitten langfristige Folgen für die medizinische Versorgung und die Lebensqualität der Patienten haben. Die KBV sowie zahlreiche Ärzte und Psychotherapeuten stehen unter Druck, nicht nur aufgrund der zunehmenden Gewalt, sondern auch wegen der allgemeinen Arbeitsbelastung und der Bürokratie, die die tägliche Praxis erschwert.

Der Schutz des medizinischen Personals in Arztpraxen muss daher zu einer Priorität für alle gesellschaftlichen Akteure werden, um die Integrität und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu sichern.

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 in Kategorie: 
Politik

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