Rund ein Drittel der jungen Neuköllner in Not: Erste Konferenz zu Kinderarmut sucht Auswege

In Berlin-Neukölln steht die Kinderarmut als drängendes gesellschaftliches Problem im Mittelpunkt. Aktuellen Erhebungen zufolge gelten rund 36 Prozent der Kinder im Bezirk als arm oder armutsgefährdet, was den Bezirk zur Region mit der höchsten Armutsquote bei Kindern in Berlin macht. Um Lösungen zu finden und Strategien zu entwickeln, fand kürzlich die erste Kinderarmutskonferenz statt, die zahlreiche Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammenbrachte.

Die Konferenz wurde vom Neuköllner Jugendamt organisiert, welches sich bereits intensiv mit der Prävention von Kinder- und Familienarmut beschäftigt. Ziel war es, in einem interdisziplinären Austausch Ideen und Ansätze zu sammeln, um die Lebensbedingungen der betroffenen Kinder zu verbessern. Unter den etwa 90 Teilnehmenden waren Vertreter:innen von Jugendclubs, sozialen Einrichtungen, dem Jugend- und Gesundheitsamt sowie anderen relevanten Organisationen.

Ein zentrales Thema der Konferenz war die Frage, wie Kinder in ihrer Entwicklung gestärkt werden können. In verschiedenen Workshops wurden Ideen zu Themen wie gesundem Aufwachsen, der Unterstützung von armutsbetroffenen alleinerziehenden Eltern sowie der Sprachförderung erarbeitet. Dabei wurde deutlich, dass Kinder aus armen Verhältnissen häufig mit zahlreichen Hürden konfrontiert sind, die ihre Entfaltungsmöglichkeiten stark einschränken. Aspekte wie beengte Wohnverhältnisse, mangelnde Rückzugsorte und der unzureichende Zugang zu Sport- und Bildungsangeboten wurden als wesentliche Herausforderungen identifiziert.

Lin Vobig, eine erfahrene Schulsozialarbeiterin, hob in einer Podiumsdiskussion hervor, dass es wichtig sei, nicht nur die Defizite der Kinder zu betrachten, sondern auch deren Kompetenzen anzuerkennen. Ihre Erfahrungen haben gezeigt, dass viele Kinder bereits früh Verantwortung übernehmen und für ihre Familien übersetzen oder bei Behördengängen helfen müssen. Diese Fähigkeiten sollten gefördert und gewürdigt werden. Vobig betonte jedoch auch die negativen Auswirkungen von Armut auf die Schulgemeinschaft. So berichtete sie, dass hungrige Kinder oft aggressives Verhalten zeigen, was das Lernen und den Schulalltag erheblich beeinträchtigen kann. Um dem entgegenzuwirken, hielt sie in ihrer Funktion stets Müsli bereit, was sich als beruhigend für die Kinder erwies.

Ein weiterer Diskussionspunkt war die Diskriminierung, der viele Migrantenfamilien ausgesetzt sind. Hamze Bytyci, ein Roma-Aktivist und Sozialarbeiter, berichtete von langwierigen Kämpfen um Kitaplätze für Kinder aus Roma-Familien. Er schilderte, dass Einrichtungen oft ablehnen, wenn der ethnische Hintergrund bekannt ist, was die Chancen auf Bildung und soziale Integration erheblich schmälert. Dabei sind die psychologischen Folgen der Nicht-Anerkennung der Qualifikationen von Eltern ebenfalls nicht zu unterschätzen. Kinder, die erleben, dass ihre Eltern trotz Ausbildung und Fähigkeiten keinen Zugang zu einem angemessenen Arbeitsplatz finden, könnten langfristig in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden.

Die Haushaltslage des Bezirks und der Stadt Berlin stellt eine zusätzliche Hürde dar. Regine Schefels, Referatsleiterin für Familienpolitik in der Senatsverwaltung, erläuterte, dass sie oft lediglich den Mangel verwalten müsse, anstatt Lösungen zu schaffen. Dieser Zustand stieß bei den Anwesenden auf Unverständnis, da fehlende Finanzmittel und unklare Perspektiven eine effektive Prävention von Armut erheblich erschweren. Verena Teuber vom Paritätischen Wohlfahrtsverband forderte, die Laufzeiten von Verträgen im sozialen Bereich zu verlängern, um Stabilität für die sozialen Dienste zu schaffen.

Die Kinderarmutskonferenz markierte den Auftakt für eine Reihe weiterer Veranstaltungen in Neukölln. Auch auf Berliner Ebene sind ähnliche Konferenzen geplant, um das Thema weiter zu beleuchten und Lösungen zu entwickeln. Für das kommende Jahr kündigte das Jugendamt an, einen Bericht über die aktuelle Situation der Kinder- und Familienarmut im Bezirk vorzulegen. Jugendstadträtin Sarah Nagel (Die Linke) verdeutlichte die Dringlichkeit des Themas und versprach, die Ergebnisse der Konferenz in zukünftige Maßnahmen einzubeziehen.

Insgesamt verdeutlicht die erste Kinderarmutskonferenz, wie wichtig es ist, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, um die Lebensbedingungen der betroffenen Kinder in Neukölln zu verbessern und ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

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