Heinrich von Kleist in Berlin: „Faszinierende Lücken und Leerstellen“

Heinrich von Kleist, ein prägender deutscher Schriftsteller des frühen 19. Jahrhunderts, hatte ein kompliziertes Verhältnis zur pulsierenden Metropole Berlin. In seinem neuen Werk „Heinrich von Kleist in Berlin, 1800 - 1811“ reflektiert Milena Rolka, Wissenschaftlerin am Kleist-Museum in Frankfurt/Oder, über die vielfältigen Facetten dieser Beziehung. Ihre Analyse ist Teil der Reihe „Frankfurter Buntbücher“, die sich mit Orten und Biographien bedeutender Persönlichkeiten beschäftigt. Laut Rolka zeigt Kleists Leben in Berlin sowohl inspirierende als auch frustrierende Aspekte, die mit Lücken und Leerstellen in seiner Biografie einhergehen.

Rolka hebt hervor, dass sie Kleist erstmals während ihres Literaturstudiums begegnete. Die Einzigartigkeit seiner Dramen, geprägt von Körperlichkeit und dem dramatischen Spiel mit Raum und Bewegung, faszinierte sie. Diese theatralische Qualität zieht sich durch Kleists Werk und ist besonders evident in seinen komplexen Figuren. Kleist gelingt es, Sprache und Körper in seinen Texten miteinander zu verbinden, wobei er oft die Ambivalenzen und Widersprüche seiner Charaktere thematisiert. Ein Beispiel hierfür ist die Figur des Michael Kohlhaas, die Rolka als „einen der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ beschreibt.

Ein spannendes Thema: Kleist in Berlin

Das Thema „Kleist in Berlin“ fasziniert Rolka aus verschiedenen Gründen. Berlin spielt in Kleists Biografie eine zentrale Rolle und wird oft in unterschiedlichen Kontexten erwähnt. Manchmal ist die Stadt lediglich ein Durchgangsort, während sie in anderen Fällen als geselliger Ort mit lebhaften Salons und Theatern erscheint. Rolka beschreibt, wie Kleist selbst geheimnisvolle Briefe aus Berlin verfasst hat und wie seine Ansichten über die Stadt schwanken. Berlin wird für ihn sowohl als ein Ort der Erwerbstätigkeit im preußischen Staatsapparat als auch als ein Platz der kreativen Entfaltung sichtbar, wo er seine Zeitschrift „Berliner Abendblätter“ herausgibt.

Diese Zeitschrift stellt einen wichtigen Teil seines Schaffens dar, da sie ihm die Möglichkeit gab, aktiv am Großstadtleben teilzunehmen. Kleist positionierte sich hier nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Journalist und Mitgestalter der urbanen Gesellschaft. Dennoch gibt es viele Aspekte seines Lebens in Berlin, die im Dunkeln bleiben oder von ihm bewusst verschleiert werden. Diese „Lücken und Leerstellen“ sind für Rolka besonders faszinierend und bieten Raum für Interpretationen über Kleists Intentionalität.

Die visuelle und literarische Leerstellen

Ein weiterer Aspekt, den Rolka in ihrem Werk thematisiert, sind die visuellen Leerstellen in Berlin. Die Stadt hat sich im Laufe der letzten 200 Jahre stark verändert. Viele Straßen und Plätze, die Kleist kannte, existieren nicht mehr oder verlaufen anders. Diese Veränderungen erschweren es, Kleists Leben und Wirken präzise zu verorten. Rolka erkennt hierin eine Metapher für Berlin als Stadt, die in ständigem Wandel begriffen ist und die ihre eigenen Leerstellen hat.

Die Begegnungen mit Kleist im Berliner Stadtbild sind heute vielfältig. So gibt es beispielsweise die U-Bahn-Station Kleistpark, die vielen Berlinern ein Begriff ist, und die wenig bekannte Büste im Viktoria-Park, die Kleist darstellt. Diese Spuren sind nicht immer offensichtlich und laden dazu ein, die Geschichte hinter den Namen zu erforschen.

Ein langersehntes Buntbuch

Die Idee zu diesem Buntbuch entstand aus einer Anfrage des Herausgebers der Reihe. Bereits seit Jahren hatte Rolka das Thema im Hinterkopf, besonders nachdem 1994 ein Buntbuch über Kleist in Berlin und Brandenburg veröffentlicht wurde, das 2013 neu aufgelegt wurde. In Anbetracht von Kleists bedeutender Rolle in der Berliner Gesellschaft und seinem aktiven Beitrag zum Großstadtleben wurde es für Rolka zu einer Leerstelle, die es zu füllen galt.

Die Zusammenarbeit mit Fotograf Günter Karl Bose, der für die Buntbuch-Reihe tätig ist und auch die visuelle Gestaltung übernimmt, wurde durch ihre langjährige Verbindung ermöglicht. Gemeinsam gelingt es ihnen, Kleists Lebenswelt in Berlin nicht nur literarisch, sondern auch visuell zu dokumentieren.

Kleist als Teil einer urbanen Identität

Rolka schließt ihren Bericht mit der Erkenntnis, dass Kleist in vielen Facetten der Berliner Identität verankert ist. Seine Werke und Gedanken haben bis heute Relevanz und spiegeln Konflikte und Fragestellungen wider, die auch in der modernen Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Herausforderungen, die sich aus Kleists kritischer Haltung gegenüber einfachen Antworten und der Dekonstruktion absoluter Wahrheiten ergeben, sind anhaltende Themen, mit denen sich die Gesellschaft auseinandersetzen muss.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Milena Rolkas Werk „Heinrich von Kleist in Berlin“ einen wertvollen Beitrag zur Kleist-Forschung leistet und sowohl die literarische als auch die gesellschaftliche Bedeutung des Schriftstellers in der preußischen Metropole beleuchtet. Die Faszination für die Lücken und Leerstellen, die Kleists Leben und Werk prägen, eröffnet neue Perspektiven auf einen der bedeutendsten Dichter der deutschen Literatur.

„Heinrich von Kleist in Berlin“ von Milena Rolka ist im Verlag für Berlin-Brandenburg erschienen und bietet auf 32 Seiten mit zahlreichen Illustrationen einen anschaulichen Einblick in Kleists Schaffen und dessen Beziehung zur Stadt.

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