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Bau der Kanalisation ab 1873: Wie Berlin sein Abwässer ins Grüne schaffte

Die Geschichte der Berliner Kanalisation ist eng mit der rasanten Entwicklung der Stadt im 19. Jahrhundert verknüpft. Die dramatischen hygienischen Bedingungen, die mit der unzureichenden Abwasserentsorgung einhergingen, führten schließlich zur Entscheidung, ein modernes Entwässerungssystem zu errichten. Der Bau der Kanalisation begann im Jahr 1873 und sollte in den folgenden Jahrzehnten die Lebensqualität der Berliner erheblich verbessern.

Die Anfänge der Kanalisation

Die Situation in Berlin vor der Einführung der Kanalisation war katastrophal. Es gab keine strukturierten Abwassersysteme, weshalb die Abwässer einfach in Rinnsteine oder direkt in die Spree geleitet wurden. Dies führte nicht nur zu einem unerträglichen Geruch, sondern stellte auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Die Choleraepidemien des 19. Jahrhunderts waren nicht zuletzt auf die unhygienischen Verhältnisse zurückzuführen. Ärzte und Ingenieure wie Rudolf Virchow und James Hobrecht erkannten die Notwendigkeit eines funktionierenden Abwassersystems, um die Hygiene in der Stadt zu verbessern.

Nachdem zahlreiche Pläne verworfen worden waren, wurde James Hobrecht 1869 als leitender Techniker für die Entwässerung Berlins berufen. Seine Pläne sahen ein Radialsystem vor, das die Stadt in zwölf Abschnitte teilte, um das Abwasser zu sammeln und über Pumpwerke zu den Rieselfeldern außerhalb der Stadt zu leiten. Diese Idee wurde am 16. November 1872 der Stadtverordnetenversammlung präsentiert und 1873 mit dem Bau begonnen.

Das Radialsystem

Das von Hobrecht entwickelte Radialsystem war innovativ und effektiv. Es war so konzipiert, dass die Abwässer nicht ungeklärt in die Spree gelangen konnten. Stattdessen wurden sie durch ein Netzwerk von gemauerten Leitungen zu Pumpwerken geleitet und von dort aus auf die in der Umgebung angelegten Rieselfelder abgepumpt. Die Rieselfelder dienten nicht nur der Abwasserentsorgung, sondern auch der Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen. Dieses System erwies sich als so erfolgreich, dass es in vielen anderen Städten, darunter Tokio, Kairo und Moskau, als Vorbild diente.

Die ersten Überlegungen zur Kanalisation reichen zurück bis ins frühe 19. Jahrhundert, als die Regierung und eine königliche Studienkommission 1816 und 1846 erste Schritte unternahmen. Dennoch dauerte es bis zur Umsetzung der Hobrechtschen Pläne, dass die Stadt eine moderne Kanalisation erhielt. Der Bau fand in mehreren Etappen statt und es dauerte bis 1909, bis das gesamte Radialsystem in Betrieb genommen wurde.

Die praktische Ausführung

Der Bau der Kanalisation erforderte erhebliche finanzielle Mittel. Von 1873 bis 1909 wurden rund 1,15 Millionen Berliner an das neue Kanalsystem angeschlossen. Dies stellte einen bedeutenden Fortschritt für die Stadt dar, die nun über eine moderne Abwasserentsorgung verfügte. Die Gesamtlänge der Kanalisation beträgt heute etwa 10.900 Kilometer und umfasst verschiedene Kanäle für Schmutz-, Regen- und Mischwasser.

Die Kanalisation wurde nicht nur zur Entwässerung genutzt, sondern auch zur Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt. Die Bereitstellung von frischem Wasser und die Beseitigung von Abwässern führten zu einer Senkung der Sterberate durch wasserbedingte Krankheiten. Die Erfolge der Kanalisation waren insbesondere in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Einführung zu spüren.

Die Rieselfelder und ihre Nutzung

Ein zentrales Element des Berliner Abwassersystems waren die Rieselfelder, auf denen die Abwässer versprüht und verteilt wurden. Diese Felder waren für die Landwirtschaft von großer Bedeutung, da sie die Böden mit Nährstoffen versorgten und reiche Ernten ermöglichten. Die Flächen für die Rieselfelder wuchsen im Laufe der Jahre, und bis 1925 wurden 18.000 Hektar bewirtschaftet. Gleichzeitig stiegen auch die Abwassermengen, die die Kanalisation bewältigen musste, erheblich an.

Die Rieselfelder wurden jedoch auch mit zunehmenden Problemen konfrontiert. Ab 1927 wurden erste Vorkläranlagen eingerichtet, um die anfallenden Abwässer zu behandeln, bevor sie in die Felder geleitet wurden. Diese Maßnahmen waren notwendig, um die Überlastung der Felder zu verhindern und die Umwelt zu schützen.

Herausforderungen und Entwicklungen im 20. Jahrhundert

Die Kanalisation und die Rieselfelder hatten lange Zeit Bestand, doch im Verlauf des 20. Jahrhunderts traten neue Herausforderungen auf. Der Bau der Mauer 1961 führte zu einer Teilung der Kanalisation in Ost- und Westberlin. In der DDR wurden Kanäle zugemauert und Abwässer umgeleitet, was zu einer ineffizienten Nutzung des Abwassersystems führte. Diese praktischen Probleme wurden erst nach der Wiedervereinigung behoben.

In den letzten Jahrzehnten hat die Berliner Kanalisation umfangreiche Modernisierungen erfahren, um den aktuellen Anforderungen des Umweltschutzes gerecht zu werden. Die Entwicklung neuer Technologien zur Abwasserbehandlung und -entsorgung sowie die Berücksichtigung von Klimafaktoren sind heute zentrale Anliegen der Berliner Wasserbetriebe.

Die Berliner Kanalisation heute

Die Berliner Kanalisation ist heute ein komplexes System, das aus verschiedenen Kanälen, Pumpwerken und Kläranlagen besteht. Es umfasst rund 4.403 Kilometer Schmutzwasserkanäle, 3.324 Kilometer Regenwasserkanäle und 1.928 Kilometer Mischwasserkanäle. Die Systeme sind so ausgelegt, dass sie den Anforderungen einer modernen Großstadt gerecht werden.

Allerdings bleibt das System auch weiterhin gefordert. Die zunehmende Urbanisierung und der Klimawandel stellen neue Herausforderungen dar, insbesondere im Hinblick auf die Handhabung von Starkregenereignissen. Innovative Konzepte zur Regenwassernutzung und -bewirtschaftung werden derzeit erprobt, um die Stadt auch in Zukunft vor Überschwemmungen zu schützen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Bau der Kanalisation ab 1873 einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Berlins darstellt. Die Entwicklungen in der Abwasserentsorgung haben nicht nur die hygienischen Bedingungen in der Stadt erheblich verbessert, sondern auch zur Schaffung einer modernen Infrastruktur beigetragen, die heute das Rückgrat der Berliner Stadtentwicklung bildet.

Quellen

Die Informationen in diesem Artikel basieren auf Recherchen und Berichten, darunter die Berliner Wasserbetriebe und historische Rückblicke auf die Entwicklung der Kanalisation in Berlin.

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 in Kategorie: 
Wirtschaft

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