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Berlin: Immer mehr Kinder haben Probleme beim Sprechen

In den letzten Jahren ist ein besorgniserregender Anstieg von Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern in Berlin zu verzeichnen. Laut einer aktuellen Auswertung der Krankenkasse Barmer, die 2022 durchgeführt wurde, haben mehr als 13 Prozent der Kinder in der Hauptstadt Schwierigkeiten mit der Sprache. Diese Zahl entspricht rund 72.900 Kindern unter 15 Jahren, die ärztlich mit einer Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert wurden. Dies stellt einen Anstieg von etwa 32,4 Prozent seit 2012 dar.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und betreffen sowohl gesellschaftliche als auch familiäre Faktoren. Ein zentrales Problem, das von Fachleuten genannt wird, ist der veränderte Umgang von Eltern und Erziehern mit den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder. Renata Oehlgardt, eine erfahrene Logopädin aus Berlin, führt aus, dass Kinder heutzutage seltener aktiv angesprochen werden und stattdessen häufig vor Bildschirmen sitzen, was ihre sprachliche Entwicklung negativ beeinflusst. "Das Kind sitzt da und guckt mit offenem Mund auf die bunten Bilder im Bildschirm, aber es bekommt nur Input", erklärt sie. Um Sprache zu erlernen, sei es entscheidend, aktiv zu sprechen und sich mit anderen auszutauschen.

Der Fachkräftemangel in den Kitas und bei den Logopäden stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Oehlgardt betont, dass es in vielen Praxen an Therapieplätzen mangelt und dass die Suche nach qualifiziertem Personal langwierig ist. "Wer ein halbes Jahr vor Einschulung Probleme bemerkt, wird es schwer haben, noch rechtzeitig etwas zu finden", warnt sie. Die Attraktivität des Berufs müsse gesteigert werden, um mehr Fachkräfte zu gewinnen.

Die Sprachförderung in Kitas ist ein wichtiger Schritt, um frühzeitig gegen diese Entwicklungen vorzugehen. Seit 2010 wird in Berlin ein spezielles Programm zur Sprachförderung umgesetzt, das Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützen soll. Dieses Programm wurde im Rahmen des Bundesprogramms "Sprach-Kitas" eingeführt, welches jedoch zum 30. Juni 2023 auslief. Die Berliner Senatsverwaltung plant jedoch, die Sprachförderung in Kitas fortzuführen.

Eine weitere Maßnahme, die zur Verbesserung der Sprachentwicklung beitragen soll, ist das sogenannte Sprachtagebuch. Dieses Instrument ermöglicht es Erziehern, die sprachlichen Fortschritte der Kinder zu dokumentieren. Oehlgardt hebt hervor, dass ein solches Tagebuch nur dann effektiv sein kann, wenn ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen, um die Kinder auch individuell zu betreuen.

Im Rahmen der Sprachentwicklung ist es wichtig, die richtige Anzahl von Wörtern zu beherrschen. Oehlgardt nennt eine Faustregel: "Mit zwei Jahren sollte ein Kind etwa 50 Wörter beherrschen, egal ob in einer oder mehreren Sprachen." Ein unzureichender Wortschatz kann langfristige Folgen für die Kommunikationsfähigkeit und das Selbstbewusstsein der Kinder haben. Bilingualität kann zudem eine Herausforderung darstellen, wenn Eltern eine Sprache sprechen, die sie selbst nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Dies kann zu Verwirrung und Unsicherheit bei den Kindern führen.

Die Situation in den Schulen spiegelt die Problematik wider. Bei den Einschulungsuntersuchungen wurden in den letzten Jahren immer häufiger Sprach- oder Sprechstörungen festgestellt. Im Jahr 2021 hatten 18,7 Prozent der Erstklässler solche Probleme. Im Jahr 2012 lag dieser Wert noch bei 16 Prozent und stieg bis 2019 auf 21 Prozent an. Besonders gravierend ist die Situation in bestimmten Regionen, wie beispielsweise in Frankfurt (Oder), wo bis zu 32,1 Prozent der Kinder Schwierigkeiten mit der Sprache haben.

Die Gründe für die Zunahme von Sprachstörungen sind vielschichtig. Laut Gabriela Leyh, Geschäftsführerin der Barmer Berlin-Brandenburg, könnte die steigende Sensibilität von Eltern, Erziehern und Ärzten zu einer erhöhten Diagnosenanzahl führen. Gleichzeitig ist es jedoch notwendig, dass Eltern regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, um Sprachentwicklungsstörungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Die Zunahme von Sprachproblemen bei Kindern in Berlin ist ein vielschichtiges Problem, das nicht nur die betroffenen Kinder, sondern auch deren Familien und die Gesellschaft insgesamt betrifft. Frühzeitige Interventionen, eine adäquate Sprachförderung in Kitas und Schulen sowie ein besserer Zugang zu logopädischen Therapien könnten dazu beitragen, die sprachliche Entwicklung der Kinder zu unterstützen und damit langfristig auch ihre Bildungschancen zu verbessern.

Die Diskussion um die Sprachentwicklung von Kindern in Berlin ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Themas, das die Herausforderungen der modernen Erziehung und Bildung verdeutlicht. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden, um diesen besorgniserregenden Trend zu stoppen und Kindern die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche sprachliche Entwicklung zu bieten.

Quellen: Barmer, Renata Oehlgardt, Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

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Kultur

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