In Deutschland wird derzeit intensiv über die mögliche Wiedereinführung von Karenztagen diskutiert. Angestoßen wurde die Debatte unter anderem durch einen Vorschlag von Allianz-Chef Oliver Bäte. Angesichts steigender Krankenstände sprach er sich dafür aus, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen, wie verschiedene Medien (z.B. ZDF, 07.01.2025) berichteten. Solche Karenztage gab es in Deutschland bereits in den 1970er Jahren. Bäte argumentiert, Deutschland sei „Weltmeister bei den Krankmeldungen“ und die Kosten im System seien zu hoch. Er verweist auf durchschnittlich 20 Krankheitstage pro Jahr in Deutschland im Vergleich zu acht Tagen im EU-Durchschnitt (ZDF, 07.01.2025).
Arbeitgeber zahlen laut Bäte jährlich 77 Milliarden Euro Lohnfortzahlung für erkrankte Mitarbeiter, zusätzlich 19 Milliarden Euro übernehmen die Krankenkassen. Das entspreche sechs Prozent der gesamten Sozialausgaben, während der EU-Durchschnitt bei 3,5 Prozent liege (ZDF, 07.01.2025). Auch die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer, hatte sich bereits im Dezember 2024 für eine Prüfung von Karenztagen ausgesprochen (20min.ch, 07.01.2025). Die Techniker Krankenkasse registrierte bei ihren Versicherten von Januar bis November 2024 durchschnittlich 17,7 Krankheitstage, ein neuer Höchststand (Merkur.de, 07.01.2025).
Gewerkschaften üben scharfe Kritik an Bätes Vorschlag. Anja Piel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) betont, die Lohnfortzahlung sei ein wichtiges soziales Schutzrecht und dürfe nicht angetastet werden (Deutsches Ärzteblatt, 06.01.2025). Sie warnt vor „Präsentismus“: Beschäftigte könnten trotz Krankheit zur Arbeit gehen, was letztlich höhere Kosten verursache als krankheitsbedingte Fehlzeiten. Norbert Reuter von Verdi bezeichnet Bätes Forderung als „Angriff auf soziale Errungenschaften“ und befürchtet, dass insbesondere Geringverdiener trotz Krankheit arbeiten würden, um Lohneinbußen zu vermeiden (Deutsches Ärzteblatt, 06.01.2025).
Auch die Statistiken der OECD zeigen laut Deutschem Ärzteblatt (06.01.2025), dass der Krankenstand in Deutschland kein Rekordniveau erreicht hat. Die gemeldeten Höchstwerte seien eher auf eine verbesserte Erfassung der Krankheitstage zurückzuführen. In Ländern wie Frankreich oder Belgien sei der Krankenstand sogar höher.
In der Schweiz gibt es bereits Karenztage, die jedoch umstritten sind (20min.ch, 07.01.2025). Arbeitgeber können ein bis drei Karenztage festlegen, abhängig vom Vorhandensein einer Krankentaggeldversicherung. Gewerkschaften kritisieren, Karenztage setzten falsche Anreize und führten dazu, dass Arbeitnehmer auch krank zur Arbeit erscheinen. Der Arbeitgeberverband hingegen sieht Karenztage als Instrument gegen „Montags- und Freitagskrankheit“ (20min.ch, 07.01.2025).
Die Debatte über die Wiedereinführung von Karenztagen in Deutschland zeigt die unterschiedlichen Positionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Arbeitgeber fokussieren sich auf die Kosten und befürchten Missbrauch, Arbeitnehmer betonen den sozialen Schutz und die Gefahr von Präsentismus. Die Diskussion wird angesichts steigender Krankenstände und der demografischen Entwicklung voraussichtlich weitergeführt.
Quellen:
- 20min.ch, 07.01.2025: Karenztage: In der Schweiz erlaubt, Deutschland debattiert
- Deutsches Ärzteblatt, 06.01.2025: Streit um Abschaffung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag
- Merkur.de, 07.01.2025: Keine Vergütung beim ersten Krankheitstag – Arbeitnehmer sollen die Ausgaben selbst übernehmen
- ZDF, 07.01.2025: Debatte um Lohnzahlung am ersten Krankheitstag
- Berliner Morgenpost, 07.01.2025: Die Wiedereinführung von Karenztagen braucht Deutschland nicht