Sexuelle Übergriffe im Fußball-Fankontext sind ein ernstes und vielschichtiges Problem. Am 24.11.2024 berichtete der rbb über den Fall der Sängerin Mine, die von Hertha-Fans in einem Zug sexuell belästigt und beleidigt wurde. Dieser Vorfall löste eine öffentliche Debatte über die Erfahrungen weiblicher Fußballfans aus und zeigte, dass solche Übergriffe leider keine Einzelfälle sind. Auch die Journalistin Mia Guethe thematisiert in 11Freunde die Schwierigkeiten, mit denen Frauen im Stadion konfrontiert sind (11Freunde.de, Bezahlinhalt).
Experten wie die Ethnologin Almut Sülzle von der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene soziale Arbeit (KofaS) bestätigen, dass solche Vorfälle deutlich häufiger vorkommen, als die Medienberichterstattung vermuten lässt. Die Dunkelziffer ist hoch, da viele Betroffene die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit und Belastung scheuen. Gegenüber dem rbb erklärte Sülzle, dass der Fußballkontext von einigen Männern als rechtsfreier Raum missverstanden wird, in dem gängige gesellschaftliche Regeln nicht zu gelten scheinen. Das oft traditionelle und rückwärtsgewandte Rollenverständnis innerhalb mancher Fangruppen kann Tätern Schutz bieten.
Sexismus ist zwar kein ausschließlich im Fußball verankertes Problem, wie die Diskussionen um die Sicherheit von Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Volksfesten zeigen. Die besondere Dynamik in einigen Fankreisen begünstigt jedoch solche Übergriffe, so Sülzle. Es handle sich nicht um die Mehrheit der Fans, sondern um eine Minderheit. Entscheidend sei aber, wie viel Raum dieser Minderheit eingeräumt wird. Sülzle beobachtet, dass es sich oft um Wiederholungstäter handelt, die sich in ihrem Umfeld sicher fühlen.
Die Zahlen der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW (MeDiF) verdeutlichen das Problem: 2022 wurden mehr Meldungen wegen Sexismus (150) als wegen Rassismus (140) oder Queerfeindlichkeit (128) erfasst. Auch hier muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.
Um die Situation zu verbessern, betont Sülzle die Notwendigkeit eines veränderten Umgangs mit dem Thema im Fußballumfeld. Jede Form von Widerspruch und jedes Eingreifen bei Übergriffen könne die Situation positiv beeinflussen und Betroffene unterstützen. Awareness-Teams in Stadien, die bereits von vielen Vereinen, darunter Hertha BSC, eingesetzt werden, sind ein wichtiger Schritt. Sülzle spricht sich für eine Ausweitung solcher Angebote auch auf die An- und Abreisewege aus, zum Beispiel durch Kooperationen zwischen Vereinen, der Deutschen Bahn und Fanprojekten.
Interessanterweise zeigen Berichte der Awareness-Teams, dass Übergriffe nicht nur in den Fankurven, sondern auch in VIP-Logen stattfinden, was deutlich macht, dass das Problem über den Kreis der männlichen Fußballfans hinausgeht.
Die Kommunikation aller Beteiligten ist zentral. Sülzle lobte die Stellungnahme von Hertha BSC nach den Vorfällen mit Mine als positives Beispiel. Der Verein verurteilte die Übergriffe, räumte das Problem ein und kündigte eine Aufarbeitung an. Die Reaktion der Deutschen Bahn wurde dagegen als zu allgemein kritisiert. Der rbb berichtete, dass die Bahn zunächst wenig Bereitschaft zeigte, die eigene Verantwortung im Umgang mit Übergriffen in Zügen zu thematisieren.
Das Buch "Ultras: Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen" bietet weitere Einblicke in die komplexe Welt der Ultras und beleuchtet auch die Überschneidungen mit anderen Subkulturen.
Quellen:
- rbb|24, 24.11.2024: "Das Rollenbild vieler Fußball-Fangruppen bietet einen Schutzraum für Täter"
- 11Freunde.de: (Bezahlinhalt)
- Duttler, G. & Haigis, B. (Hg.). (2016). Ultras: Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen. transcript Verlag.