Der Berliner Künstler Benjamin Kunath führt ein Doppelleben: Er ist nicht nur bildender Künstler, sondern auch Zugführer. Wie er in einem Interview mit rbb24 Inforadio (04.01.2025) erzählte, begann er seine Laufbahn im Fahrdienst aus rein finanziellen Gründen, um sein Kunststudium zu finanzieren. "Zugführer war nie mein Traumberuf, aber die Gelegenheit bot sich", erklärte Kunath. Die Arbeit bei der Leipziger Straßenbahn, die damals studentische Aushilfen suchte, entpuppte sich für ihn wider Erwarten als eine echte Leidenschaft. "Ich merkte, dass es mir großen Spaß macht, und dann nahm die Sache ihren Lauf", so Kunath.
Seine Erlebnisse im Führerstand fließen unmittelbar in seine künstlerische Arbeit ein. Kunath beschreibt seine Kunstwerke als meist schwarz-weiße Tuschezeichnungen im A4-Format, die die Perspektive aus der Fahrerkabine einfangen. Sie dokumentieren Gedanken, Beobachtungen von Menschen und Tieren sowie die vorbeiziehende Landschaft. Selbst unscheinbare Details, wie beispielsweise ein verlorenes Würstchen am Bahnsteig, können Kunath als Inspiration für ein Kunstwerk dienen. Sein Schaffensprozess beginnt mit Notizen und Stichworten während der Fahrt. Später arbeitet er diese Erinnerungsfragmente ohne vorherige Skizze zu detailreichen Zeichnungen aus.
Der Umzug von Leipzig nach Berlin und die Umschulung zum U-Bahnfahrer brachten, wie Kunath gegenüber rbb24 Inforadio ausführte, auch eine Veränderung in seinem künstlerischen Stil mit sich. Die Eintönigkeit der immer gleichen U-Bahn-Strecke, besonders auf der U3, die er als die schönste Linie bezeichnet, lenkte seine Aufmerksamkeit auf die kleinen Dinge am Rande der Strecke. Während in Leipzig die abwechslungsreichen Straßenbahnfahrten im Vordergrund standen, konzentrierte er sich in Berlin auf subtile Veränderungen und Begegnungen, wie zum Beispiel den Augenkontakt mit einem Fuchs in Krumme Lanke.
Derzeit absolviert Kunath eine Ausbildung zum Lokführer im Fernverkehr bei der Deutschen Bahn. Diese neue Herausforderung, so berichtete er im Interview, nimmt ihn aktuell sehr in Anspruch und lässt ihm wenig Raum für künstlerische Tätigkeiten. Die komplexe Ausbildung und das Erlernen der Vorschriften stehen im Fokus. Kunath geht jedoch davon aus, dass die neuen Erfahrungen im Fernverkehr – die hohen Geschwindigkeiten und die weiten Landschaftspanoramen zwischen den Städten – seine Kunst in den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen werden. Der Fokus werde sich von den kleinen Details der Stadt hin zu den größeren Zusammenhängen der Landschaft verschieben, so Kunath.
Quellen:
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- rbb24 Inforadio, Interview mit Benjamin Kunath, 04.01.2025
- rbb24 Inforadio, Vis à vis: Benjamin Kunath: Von U-Bahnen und Kunst, 06.12.2024