In unserer heutigen Gesellschaft ist die Notwendigkeit eines gemeinsamen Narrativs, einer verbindenden Geschichte, die den Zusammenhalt stärkt, wichtiger denn je. Der Berliner SPD-Politiker Orkan Özdemir, Sprecher für Antirassismus und Integration, unterstreicht die Bedeutung einer solchen "gemeinsamen Erzählung" als Fundament für ein funktionierendes Gemeinwesen. Özdemir, der maßgeblich an der neuen Enquete-Kommission für Antidiskriminierung mitgewirkt hat, sieht darin einen zentralen Lösungsansatz für die aktuellen gesellschaftlichen Probleme. Zunehmende Polarisierung, schwindendes Vertrauen in Institutionen und wachsende soziale Ungleichheit erschweren die Suche nach gemeinsamen Werten und Zielen.

Eine gemeinsame Erzählung bedeutet nicht die Unterdrückung unterschiedlicher Meinungen oder das Ignorieren von Konflikten. Im Gegenteil: Es geht darum, einen Raum für den respektvollen Austausch verschiedener Perspektiven und Erfahrungen zu schaffen. Ziel ist die Findung eines verbindenden Elements, das über individuelle Unterschiede hinweg ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt. Dieser Prozess erfordert Offenheit im Dialog, gegenseitiges Verständnis und Kompromissbereitschaft.

Die Entwicklung einer solchen Erzählung steht vor zahlreichen Herausforderungen. Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel haben die Gesellschaft grundlegend verändert und zu einer Vielfalt von Lebensrealitäten und Wertvorstellungen geführt. Die Verbreitung von Falschinformationen und Hassrede im Internet behindert den konstruktiven Austausch und verschärft die gesellschaftliche Spaltung. Gegenmaßnahmen sind die Stärkung der Medienkompetenz, die Förderung von kritischem Denken und die Schaffung sicherer Orte für den Dialog.

Bildung spielt eine Schlüsselrolle. Schulen und Universitäten sollten Orte sein, an denen junge Menschen lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, respektvoll zu diskutieren und sich aktiv in die Gestaltung der Gesellschaft einzubringen. Auch die Kultur kann einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Begegnungsräume schafft und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen fördert.

Die Entwicklung einer gemeinsamen Erzählung ist ein dynamischer, fortlaufender Prozess, der sich den sich wandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen muss. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die nur durch gemeinsames Engagement bewältigt werden kann. Der Erfolg hängt davon ab, inwieweit es gelingt, einen breiten gesellschaftlichen Konsens über grundlegende Werte und Ziele zu erreichen und diese in konkrete politische Maßnahmen umzusetzen.

Quelle: Berliner Morgenpost, „Wir müssen wieder eine gemeinsame Erzählung entwickeln“, 04.01.2025

Veröffentlich am 
4/1/2025
 in Kategorie: 
Kultur

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